Dorfkirche Reinhardtsdorf

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#Kirchensafari – Die Kirche zu Reinhardtsdorf

Ein Sonnabendvormittag im frühen Herbst. Über den Dächern von Reinhardtsdorf ziehen helle Wolken rasch dahin, als hätten sie Eile, das weite Tal zwischen den Elbhöhen noch einmal mit Licht zu überfluten, bevor der Tag ins milde Grau des Oktobers kippt. Die Luft ist klar, von der nahen Felslandschaft her weht der Geruch von feuchtem Laub und Sandstein. Ich parke am kleinen Anger, der Kirchturm grüßt mit seiner barocken Zwiebelhaube über die Häuser hinweg. Wer hier steht, auf dem Kirchberg, sieht tief in das Land hinein – über die Elbe bis hinüber nach Schöna und den Zirkelstein. Ein stiller, ländlicher Ort, der seit Jahrhunderten auf seine Kirche schaut wie auf das eigene Gedächtnis.

Die Kirche von Reinhardtsdorf ist von außen unscheinbar, beinahe bescheiden – ein verputzter Saalbau, spätgotischen Ursprungs, mit dreiseitig geschlossenem Chor und kräftigen Strebepfeilern. Ihre ältesten Steine stammen wohl aus dem 15. Jahrhundert, doch ihr heutiges Gesicht erhielt sie in den Jahren nach 1675, als man sie erweiterte und mit dem kunstvollen Westportal versah. Auf diesem steht noch heute die Jahreszahl 1675, darüber zwei Engel, die eine Kartusche halten – Spuren des Pirnaer Bildhauers Heinrich Weingarten. Der kleine Dachreiter mit der Zwiebelhaube und der offenen Laterne stammt von 1688 und fügt dem Bau eine fast heitere Krönung hinzu.

Der Innenraum dagegen – wer durch die niedrige Tür tritt, merkt es sofort – ist ein Schatzkästlein, ein leuchtendes Beispiel des sächsischen Bauernbarocks. Helles Holz, milde Farben, Bilder und Sinnsprüche überall. Kaum eine Fläche ist unbemalt geblieben. Es riecht nach jahrhundertelangem Harz und ein wenig nach Leinöl, das Sonnenlicht fällt durch die südlichen Fenster und bricht sich an den Farbschichten der Decke.

Ein Stück Kunstgeschichte im Dorf

Cornelius Gurlitt nannte solche Kirchen einmal „Volkskunst in Farbe und Holz“ – und in Reinhardtsdorf stimmt das wörtlich. Zwischen 1681 und 1711 wurde hier gemalt, vergoldet, geschnitzt und gefasst. Zwei Maler, Gottfried Schenker und Johann Georg Walter, schufen die Bilderzyklen, die das Schiff heute noch schmücken. Auf den beiden Emporen reihen sich über fünfzig biblische Szenen, gemalt in leuchtenden Tönen auf hellem Grund. Die obere Empore erzählt die Geschichten des Alten Testaments: die Erschaffung der Welt, den Sündenfall, Noahs Arche, die Opferung Isaaks, Davids Kampf mit Goliath, den Fall von Jericho. Die untere Empore widmet sich dem Neuen Testament: Verkündigung, Geburt, Kreuzigung und Auferstehung Christi, Pfingsten und Himmelfahrt.

Unter jedem Bild steht, fein säuberlich in alter Schrift, der Name des Stifters – dazu oft Beruf und der Betrag, den man zur Verschönerung der Kirche beisteuerte. Bauern, Müller, Böttcher, Handwerksleute – das ganze Dorf ist hier verewigt, als hätte man die Gemeinde selbst in ein biblisches Gleichnis verwandelt. Manche Inschriften sind verblasst, andere frisch restauriert. Es ist ein stilles Zeugnis jener Frömmigkeit, die nicht von außen befohlen war, sondern aus dem eigenen Glauben erwuchs.

Besonders berührend sind die Landschaften, die die Maler den Szenen hinterlegten. Statt ferner Jerusalemer Hügel sieht man Felsen und Wälder, die an die Sächsische Schweiz erinnern – vielleicht an den Lilienstein, vielleicht an die Schrammsteine über Schandau. Es ist, als wäre das biblische Geschehen in die Heimat verlegt worden, in ein vertrautes Tal, das jeder hier kannte. Der Himmel über Noahs Arche hat dieselben ziehenden Wolken, die auch heute über Reinhardtsdorf wandern.

Über allem spannt sich die flache Holzdecke, deren Felder eine großflächige Darstellung der Dreifaltigkeit zeigt: Gottvater auf dem Thron, Christus mit der Siegesfahne, darüber die schwebende Taube des Heiligen Geistes. Am Westende, über der Orgelempore, das Jüngste Gericht – mit ernster Miene ruft der Engel die Toten aus den Gräbern, während über ihm ein heller Regenbogen aufstrahlt. In der Mitte der Decke ist die lateinische Inschrift zu lesen: DEO TRINUNI SACRUM – „Dem dreieinigen Gott geweiht“. Darunter die Jahreszahl 1711, das sichtbare Ende der langen Ausmalungszeit.

Wer hier einen Moment innehält, hört manchmal das Ticken der Turmuhr und das ferne Rufen eines Vogels. Es ist, als sei der Raum noch immer erfüllt von den Stimmen jener, die ihn geschaffen haben.

Der gotische Flügelaltar

An der Südwand steht – unscheinbar auf den ersten Blick, doch von hohem Rang – der gotische Flügelaltar aus dem Jahr 1521. Er ist ein Werk des Bildhauers Georg Hörcel, der in der Region um Pirna tätig war. Ursprünglich stand er am Ort des heutigen barocken Hauptaltars, wurde aber nach der barocken Umgestaltung zur Seite gerückt.

Im Mittelschrein thront Anna selbdritt, also die heilige Anna mit ihrer Tochter Maria und dem Jesuskind. Die Figuren sind fein geschnitzt, die Gewänder reich gefaltet, die Gesichter still und ernst. Rechts und links davon stehen die Heiligen Wenzel, Veit, Martin und Nikolaus – Schutzpatrone, die in böhmisch-sächsischen Kirchen häufig begegnen. Die bemalten Außenseiten der Flügel zeigen den heiligen Heinrich II. und den heiligen Wolfgang.

Dieser Altar hat eine abenteuerliche Geschichte: Er wurde 1940 in die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gebracht, um ihn vor Kriegsschäden zu sichern, und kehrte erst kurz vor Kriegsende, im Januar 1945, nach Reinhardtsdorf zurück. So entging er der Zerstörung des Dresdner Schlosses – eine glückliche Fügung, die ihn zum seltenen Überlebenden spätgotischer Schnitzkunst in der Sächsischen Schweiz machte. Heute steht er, sorgfältig restauriert, in stillem Kontrast zum barocken Prunk des großen Altars im Chor.

Der barocke Hochaltar

Der Hauptaltar, den die Besucher heute zuerst sehen, stammt aus den Jahren 1681 bis 1684. Er wurde von Michael Gäden, einem Bildhauer aus Stolpen, geschaffen und vom Maler Gottfried Schenker farbig gefasst. In kräftigem Aufbau aus drei Etagen erhebt sich der Schrein über dem schmiedeeisernen Gitter, das den Chorraum begrenzt. Unten das Abendmahl, darüber die Kreuztragung, oben die Kreuzigung Christi, von Akanthusrahmen umspielt und von vergoldeten Säulen eingefasst. Über allem thront der auferstandene Christus mit der Siegesfahne – ein Sinnbild der Hoffnung, das sich gegen die dunklen Jahrhunderte behauptet hat.

Das Ensemble wirkt trotz seiner Pracht nicht prahlerisch. Die Farben sind warm, das Gold gedämpft, die Figuren klar und ruhig. Man spürt, dass hier nicht höfische Künstler, sondern handwerklich versierte Dorfmeister am Werk waren – und doch erreichten sie eine Geschlossenheit, die viele größere Werke übertrifft.

Die Orgel und der Klang des Raumes

Die Orgel auf der Westempore stammt aus dem Jahr 1911 und wurde von der Firma Hermann Eule (Bautzen) gebaut. Ihr Prospekt ist älter – barock, mit geschnitzten Pfeifenfeldern und kleinen Putten – und wurde dem neuen Werk angepasst. Wenn der Organist an den Sonntagen spielt, füllt sich der Raum mit einem Klang, der warm und rund ist, nicht laut, sondern tragend. Auch die alten Holzbänke und der Holzboden tragen zu dieser weichen Akustik bei. Es ist ein Instrument, das den Raum atmet.

Ein Blick in die Geschichte

Die Kirche wird 1368 erstmals erwähnt, vermutlich stand hier zuvor eine kleine Kapelle aus romanischer Zeit – eine rundbogige Pforte in der Sakristei deutet darauf hin. Im 15. Jahrhundert entstand der gotische Neubau, 1523 wurde sie „mit drei Altären geweiht“. Der große Umbau im 17. Jahrhundert prägte das heutige Erscheinungsbild. In dieser Zeit entstanden auch Kanzel und Taufstein (1615).

Den sachlichen Überblick fasste R. Steche 1882 in seiner Beschreibenden Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen auf Seite 77 so zusammen:

„Reinhardtsdorf. Kirchdorf, 3 km südöstlich von Schandau. Kirche, dreiseitig geschlossen mit Strebepfeilern und mit Holzdecke, ursprünglicher Bau 15. Jahrh., erweitert 1675—78. Westgiebel mit schönem Portal, bez. 1675. Altar mit bedeutenden Gemälden, 1684; vor demselben schmiedeeisernes, polygonhes Gitter, 17. Jahrh. Kanzel 1615. Taufstein aus gleicher Zeit. Kelch, Silber verg., 24 cm hoch, am Knauf IHS ESVS, 17. Jahrh. Hostienbüchse, oval mit in Silber getriebenem Figurenwerk, schöne Arbeit eines Augsburger Meisters L. B., bez. 1717.“

Trockene Worte, gewiss – aber sie zeugen von der Wertschätzung, die dieser kleinen Landkirche schon im 19. Jahrhundert entgegengebracht wurde.

Ein Ort der Farben und Geschichten

Wenn man auf der mittleren Bankreihe sitzt und den Blick über die Emporen wandern lässt, fällt es schwer, zu entscheiden, wohin man zuerst sehen soll. Jede Szene erzählt, jede Figur trägt ihre Farbe, jeder Spruchrahmen einen Sinn. Die Malerei ist volksnah, beinahe erzählerisch, manchmal naiv, aber von einer tiefen inneren Logik. Sie spiegelt den Glauben der Dorfgemeinschaft in Bildern, die ebenso Katechismus wie Chronik sind.

Im Herbstlicht, wenn die Sonne durch die klaren Scheiben fällt, beginnen die Farben zu leuchten: das Blau des Himmels über Bethlehem, das Grün der Felder, die goldenen Rahmen der Spruchbänder. Es ist, als würde der Raum selbst predigen – ein lebendiges Bilderbuch des Glaubens.

Draußen läuten die Glocken, hell und klar. Ich trete wieder hinaus ins Licht, die Wolken treiben weiter, der Wind rauscht durch die Linden am Kirchhof. Von oben, aus dem Dachreiter, blickt die vergoldete Kugel hinab ins Dorf. Es ist eine jener Kirchen, die man nicht vergisst, weil sie erzählen, wie Kunst und Frömmigkeit, Handwerk und Landschaft ineinander greifen können. Ein Stück Himmel in Holz und Farbe, fest verwurzelt in der Erde der Sächsischen Schweiz.


#Kirchensafari Reinhardtsdorf | Sonnabendvormittag, helles Herbstlicht, freundliche Wolken – ein Tag zwischen Himmel und Holz. In Zusammenarbeit mit chatgpt.



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Gott, schweige doch nicht! Gott, bleib nicht so still und ruhig! Denn siehe, deine Feinde toben, und die dich hassen, erheben das Haupt.
Psalm 83,2-3



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